Helvetik im Toggenburg
Vor zwei Jahren hatte Pascal Sidler unter dem Titel Revolution im Toggenburg darüber berichtet, wie sich die Situation im Toggenburg zwischen 1795 und 1798 entwickelte. Heute, im zweiten Teil der "Fortsetzungsgeschichte", stellte er die Zeit der Helvetik (1798-1803) vor. Um diese verstehen zu können, wurde die Vorgeschichte nochmals kurz zusammengefasst. Religiöse Fragen waren hier sehr wichtig: das Toggenburg stand zwar unter der Hoheit des Fürstabtes, es gab aber auch rein reformierte sowie gemischt-konfessionelle Gemeinden. Im Rahmen der Protoindustrialisierung (Entwicklung der Heimindustrie, v.a. im Textilbereich) hatten es einige reformierte Familien zu Vermögen gebracht, ohne jedoch zu politischem Einfluss zu gelangen.
Auf der anderen Seite waren die Katholiken bei der Bevölkerungszahl zwar in der Minderheit, besetzten jedoch die meisten wichtigen Ämter - eine Machtposition, die natürlich nur ungern abgegeben wurde. Nur kurz (Februar bis April 1798) existierte eine Selbstverwaltung, bevor das Toggenburg zwischen den neu gegründeten Kantonen Säntis (im Norden) und Linth (im Süden) aufgeteilt wurde.
Letzteres war auch nicht gerade hilfreich, führte es doch des öfteren zu mangelnder Koordination.
Im Gegensatz zur Zeit vor 1798 liefert für die Zeit der Helvetik die explodierende Verwaltungsschriftlichkeit viele Einblicke. Sozusagen als Einführung zitierte der Referent aus einem Gerichtsurteil vom 10.01.1799: ein katholischer Anhänger der alten Ordnung hatte einen reformierten Befürworter der Helvetik auf's Übelste beschimpft (facebook lässt grüssen!), als Franzosen, der gar kein Schweizer mehr sei (das war der höfliche Teil der Äusserungen), und wurde dafür bestraft. 1799 war wohl das ereignisreichste Jahr der Periode, einschl. des Aufruhrs von Mosnang (März), der Restauration (Rückkehr des Fürstabtes im Mai) sowie Rückkehr zur Helvetik im September. Anhand zahlreicher Beispiele wurden die Formen des Widerstands gegen die neue Ordnung veranschaulicht, vom "zivilen Ungehorsam" (der durchaus von vielen Amtsträgern geduldet wurde), über lokale Proteste hin zu eben diesem Aufruhr von Mosnang, der einzigen anti-helvetischen Widerstandsaktion im Toggenburg, die schliesslich von französischen Truppen unblutig niedergeschlagen wurde. Dass es im Gegensatz zu anderen Regionen in der Helvetischen Republik vergleichsweise friedlich zuging, lag nicht zuletzt auch daran, dass die Obrigkeit recht diplomatisch vorging. Auch war die Ämterkontinuität im Vergleich zu anderen Regionen recht hoch: um Ämter wahrnehmen zu können, waren sowohl ein Bildungsstandard wie Vermögen Voraussetzung, was den Kreis potentieller Amtsträger einschränkte. Natürlich gab es Gewinner wie Verlierer der Umstrukturierung - aber viele Amtsträger hatten sich auch vorher schon öffentlich engagiert.
Das änderte aber nichts daran, dass der Staat völlig überfordert war und praktisch permanent vor dem Bankrott stand. So entwickelte sich auch bei den hochrangigen Amtsträgern oft eine grosse Enttäuschung, weil sie die Kosten für die Wahrnehmung des Amtes aus eigener Tasche zu bezahlen hatten, ohne Aussicht, diese Spesen jemals erstattet zu bekommen, und die ihnen eigentlich zustehenden Gehälter, wenn überhaupt, nur mit grosser Verzögerung erhielten. In der Folge wurde der Amtszwang eingeführt: wer ein Amt niederlegen wollte, musste sich das von der Obrigkeit bewilligen lassen - die die Bewilligung aber (in einem Fall sechsmal) einfach verweigerte.
Auch beim "normalen Volk" wich die zumindest teilweise Freude über die neuen Freiheiten bald der Ernüchterung. An die Stelle der bisherigen Abgaben an den Abt traten neue Steuern. Die Kriege in den umliegenden Ländern brachten den Handel weitgehend zum Erliegen, was insbesondere die Heimarbeiter der Textilindustrie in existenzielle Not brachte, die keinen Boden mehr besassen, um sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgen zu können. Eine zum Teil irrationale Presse (heute würde man von "alternativen Fakten" sprechen) trug zur Verunsicherung bei. Dazu kamen Einquartierung und Verpflegung der sich abwechselnden österreichischen, französischen und russischen Truppen, für die das Toggenburg Durchgangsland von einem Kriegsschauplatz zum nächsten war.
Ende Juli 1802 zogen die franz. Besatzungstruppen überraschend aus der Helvetischen Republik ab, was den Vollziehungsrat seiner Machtbasis beraubte. Die Mediationsakte vom 19.02.1803 besiegelte das Ende der Helvetischen Republik. Am 10.03.1803 ging die Amtsgewalt der helvetischen Behörden an den Landammann der Schweiz und an die provisorischen kant. Regierungskommissionen über ... und damit ein ebenso fundierter wie anschaulicher Vortrag zu Ende, der zu einer animierten Diskussion führte.
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